Köln will bei Hochwasser das Worringer Bruch und die B9 fluten
Die StEB stellte überarbeitete Pläne zum Bau eines großen Retentionsbeckens vor
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Köln-Worringen/Vereinshaus
Im Rahmen des Hochwasserschutzkonzeptes hatten die Stadtentwässerungsbetriebe (StEB) zu einer weiteren Bürgerinfo-Veranstaltung in das Vereinshaus eingeladen. Durch die frühe Ankündigung des Bürgervereins war der Vereinssaal sehr gut gefüllt. Schon im Jahr 2005 berichtete WorringenPur über den vorgestellten Plan, der den Bau eines 30 Mio. m³ Rheinwasser fassenden, künstlichen Retentionsbeckens (Polder) zum Schutz vor einem extremen 200jährigen Hochwasser vorsah. Ursprünglich war jedoch ein kleinerer Polder vorgesehen, der eine gesteurte Flutung nur bis zur B9 vorsah. Der nun vorgestellte große Polder soll bei Worringen mit ca. 5 bis 7 m hohen Wänden und mit 30 Mio. m³ Fassungsvermögen gebaut werden. Er wird nur im Notfall bei einem Kölner Pegelstand von 11,70 m geflutet werden, wenn der Wasserstand für den Rhein auf 11,90 m –also Tendenz steigend- prognostiziert wird. Die B9 wäre dann überflutet und das Rheinwasser würde darüber hinaus in den gesamten Worringer Bruch geleitet werden
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Auf der nun stattgefundenen Infoveranstaltung präsentierte die StEB per Beamer-Präsentation ein zwar technisch ausgereifteres Konzept, das nun auch ein Pumpwerk für die im Retentionsbecken verbleibenden Wassermassen vorsah. Trotzdem müssten die Worringer mit Monaten rechnen, bis das Restwasser aus dem Polder hinausgepumpt wäre. Der Bürgerverein fordert hier ein weitaus leistungsfähigeres Pumpwerk, das die Wartezeit um mindestens 1/3 verkürzt bzw. auf max. 1 Monat begrenzt. Ansonsten ist die Gefahr –die sowieso schon besteht- sehr erhöht, dass während das Rheinwasser im Polder verbleibt, der Druck auf das Grundwasser und die unterschiedlichen Erdschichten stetig zunimmt. Grundwasser und Qualmwasser könnten sich dann nicht nur dramatisch in Hochwasser gewöhnte Worringer Keller drücken, sondern auch die Keller bedrohen, die ohne Polder kein Wasser im Haus zu befürchten hätten. Natürlich könnte man dann auch der Empfehlung von Herrn Schaaf von der StEB nachkommen und den Keller rechtzeitig selbst fluten, um dem Grundwasserdruck auszuweichen. Begeistert waren davon allerdings die Gäste der Bürgerinfo nicht. Bei 55 Mio. geplanten Baukosten muss daher zumindest ein leistungsfähigeres Pumpwerk gebaut werden, als vorgestellt, so Karl Johann Rellecke, Mitglied im Bürgerverein.

Ein weiterer strittiger Punkt ist die von der StEB als selbstverständlich angesehene Flutung der Bundesstraße 9, die dann ebenfalls für einen längeren Zeitraum nicht befahrbar wäre. Der Bürgerverein fordert hier zumindest eine entsprechende Höherlegung der B9, um diese durchgehend nutzen zu können. Schärfere Worte fand Herr Rellecke, der sich mit diesem Projekt schon seit vielen Jahren intensiv beschäftigt. Seiner Meinung nach darf die B9 keinesfalls geflutet werden, denn mit ihr entfällt nicht nur ein wichtiger Fluchtweg, der im Falle eines gleichzeitig stattfindenden Chemieunfalls dringend benötigt wird.
Daraus ergibt sich die Frage, wohin die Worringer flüchten könnten, wenn sich bei Flutung der B9 zeitgleich ein Chemiestörfall bei der ortsansässigen Ineos ereignen würde? Auch wenn Frau Dr. Iturriaga Abarzua (Ineos Köln) auf Anfrage von WPur betont, dass ausreichend Ausweichstraßen der Ineos z. V. stehen, stimmt es doch bedenklich, dass die StEB bis jetzt weder mit Bayer noch mit Ineos direkt über den Polderplan und der damit veränderten Fluchtwegsituation gesprochen hat.
Hinweise lassen den Schluss zu, dass schadstoffhaltige Altlasten der EC im Bruch vergraben sein könnten und sich damit mitten im geplanten Polder befinden würden. Ob diese Altlasten, bei einer geplanten Flutung, eine gefährliche Rolle bei dem unkalkulierbaren und drückenden Grundwasser spielen könnten, ist nicht bekannt.  Auch weiß niemand, wer die von einem Bürger angesprochenen Erdbohrungen im Bruch hat durchführen lassen. „Von uns wurden keine Beprobungen durchgeführt oder veranlasst. Aus den uns bisher zur Verfügung stehenden Informationen lässt sich der Verlauf der Eindeichung nicht genau genug bestimmen. Wir bitten deshalb, sich mit dieser Frage an die Stadt Köln und das mit der Planung beauftragte Ingenieurbüro zu wenden“, so die Ineos auf unsere Anfrage bzgl. Altlasten und Erdbohrungen im Bruch.
Weiter plant die StEB den gesamten Verkehr der B9 (von Köln, Langel, Fühlingen Blumenberg kommend) –einschließlich LKWs- auf die  Blumenbergstraße, Richtung Rogg./Thenhov. über Bruchstraße, weiter über St. Tönnisstraße etc. umzuleiten. Abgesehen von dem hohen Verkehrsaufkommen, das über eine normale Ortsstraße geleitet wird, besteht auch ein Problem am Erdweg, der als Deichdurchfahrt geplant ist. Der Erdweg ist  nur für 1,5 t und nicht für Schwerlastverkehr zugelassen. Den gesamten Verkehr –auch von Pulheim und Dormagen kommend dermaßen umzuleiten könnte eine Belastungsprobe für die Anwohner sein.
Es kann trotzdem niemand dagegen sein, etwas gegen anstehende Extrem-Hochwasser wie die von 1993 und 1995 zu unternehmen. Die Worringer sind  aber durch die Sanierung des Deiches schon gegen ein 100jähriges Hochwasser (also ein HW, das nur 1 x in hundert Jahren zu erwarten ist) bei einem Kölner Pegelstand von 11,30 m geschützt. Auch ein 200jähriges Hochwasser mit Kölner Pegelstand von 11,90 m würde Worringen (noch) nicht überfluten.
Die Frage lautet daher ob die Worringer in Kauf nehmen, den Keller frühzeitig mit Grundwasser gefüllt zu haben. Tatsache ist, dass die rheinabwärts liegenden Städte wie Düsseldorf durch den Bau und eventueller Flutung des Polders in Worringen ebenfalls gegen ein 200jähriges Hochwasser geschützt werden könnten. Zumindest wäre die rheinabwärts zu erwartende Hochwasserspitze um bis zu 17 cm niedriger. Wollen wir den Rheinunterliegern auf Kosten unserer Lebensqualität helfen oder nicht? Dieser Polder würde vor Erreichen der 11,90 m durch eine Sprengung am Einlasswerk geflutet werden, nämlich bei einem Kölner Pegelstand von 11,70 –wenn die Prognose auf 11,90 m steht. Die Entscheidung darüber wird laut StEB in einem „Betriebsplan“ festgelegt und ist abhängig von einem „4-Augen-System“. Ein Krisenstab unter Leitung des Oberbürgermeisters und ein Gremium des Landes NRW werden letztendlich die Entscheidung treffen, ob der Polder in Worringen frühzeitig geflutet wird. Die Skepsis  bleibt, wenn das „Instrument Polder“ erst einmal geschaffen worden ist, es früher einzusetzen, als jetzt zugesichert bei 11,70 m. Und was passiert, wenn nach der Sprengung der Deichscharte am Einlasswerk ein zweites Hochwasser ansteht, bevor das Einlasswerk wieder geschlossen werden kann? Hat der geflutete Polder und der dadurch auf das Grundwasser entstehende Druck Einfluss auf unser Trinkwasser? Auch da gibt es unterschiedliche Aussagen. Die StEB meint es gäbe keine Bedenken, doch ein Bürger meldete sich zu Wort, der mit dem Manager des Wasserwerkes gesprochen haben will, der schon jetzt die hohen Nitrat-Werte bemängelte. Bedenken gibt es also nicht nur seitens der Bevölkerung viele, weil vieles von der StEB auch noch nicht bedacht wurde.

Auf der anderen Seite kann dieser Polder auch Worringen nutzen, wenn die Prognose für das zu erwartende Hochwasser auf über 11,90 m geschätzt wird, wird Worringen auf jeden Fall dem Hochwasser zum Opfer fallen – und das unkontrolliert. Eine vorzeitige gesteuerte Flutung könnte also auch Worringen von Nutzen sein.
Keine befriedigende Antwort gab es seitens der StEB zu der Frage, ob und wie die schadstoffhaltigen vergrabenen Altlasten im Bruch, die sich im geplanten Polder befinden, dann auf den Druck des Wassers reagieren. Ob es Ausgleichszahlungen für die dann beschädigten Häuser und Grundstücke geben wird ist ebenfalls unbekannt. Tatsache ist, dass man sich zur Zeit –wenn auch schwierig und teuer- gegen Hochwasser versichern kann, nicht aber gegen die Folgen von austretendem Grundwasser. Und was geschieht mit der seltenen, europäisch geschützten, Tier- und Pflanzenwelt des Naturschutzgebietes?
Nach der Auswertung der Ergebnisse aus der Bürgerinfo werden diese in der 2. Jahreshälfte für den Rat der Stadt Köln vorbereitet. Der Vorstandsvorsitzende der StEB, Otto Schaaf rechnet mit dem Baubeginn nicht vor den Sommerferien 2012. Bauingenieur Herr Ueberfeldt, der die Pläne auf der Bürgerinfo präsentierte, plant nach dem Durchlauf aller Instanzen 4 Jahre Bauzeit ein.
Bei allem Für und Wider zum Bau des Retentionsbeckens zählt zur Zeit der letzte politische Beschluss des Stadtrates aus dem Jahr 2006, bei dem alle Parteien einstimmig für den Bau eines großen Polders stimmten, dessen Planungsumsetzung aber den Anliegerschutz voraussetzte. Wer Bedenken oder Planungsänderungen äußern möchte, muss diese rechtzeitig an richtiger Stelle tun, aller spätestens dann wenn es in die Planfeststellungsphase geht.

Abschließend baten wir das ehemalige Mitglied des Verwaltungsrates der Stadtentwässerungsbetriebe Karl-Johann Rellecke um seine Einschätzung zum Fortgang des Planfeststellungsverfahrens : "Im Bürgervereinsvorstand werden wir uns nach der Sommerpause unter Leitung des neuen Vorsitzenden Kaspar Dick ausführlich mit den Vorträgen der StEB-Fachleute am Informationsabend  im Vereinshaus beschäftigen .  Insbesondere die Frage der Befahrbarkeit der B 9 während und nach einer möglichen Flutung des Retentionsraumes sowie die Kapazitätsauslegung des geplanten Pumpwerkes zur schnellen Entleerung der Überschwemmungsfläche werden dabei von größter Wichtigkeit sein . Es einfach so hinzunehmen, dass den Worringern der einzig leistungsfähige Fluchtweg bei einem Chemieunfall bis zu drei Monaten nicht zur Verfügung steht, wäre unverantwortlich. Den Kontakt zu den von einer Flutung direkt betroffenen Bewohnern des Retentionsraumes gilt es ebenso zu knüpfen wie auch zu den Unternehmen in der Nachbarschaft. Darüber hinaus soll der Dialog mit den StEB intensiviert , externer Sachverstand eingeholt  und die zuständigen politischen Gremien und Mandatsträger um Stellungnahmen gebeten werden ", so der Worringer Geographielehrer und Mitglied des Bürgervereinsvorstandes .

Um die Interessen der Bürger besser vertreten zu können, hofft der Vorsitzende des Bürgervereins, Kaspar Dick, auf eine rege Zunahme der Mitgliederzahl. Nur dann wird die Schlagkraft des Bürgervereins effektiv sein, so Herr Dick, der sich nach der Bürgerinfo für die überwiegend sachliche Diskussion bedankte.

Die Red. WorringenPur hätte Ihnen, liebe Leser, gerne die Pläne der StEB im Detail z. V. gestellt, leider aber wurde uns wie auch dem Bürgerverein die Präsentation trotz vorheriger Zusage und trotz 9 Tage Wartezeit bisher nicht zugesandt. Wir hoffen, Ihnen diese zu einem späteren Zeitpunkt nachreichen zu können, damit auch diejenigen, die bei der Bürgerinfo nicht anwesend waren, die Möglichkeit haben sich mit den Plänen genauer beschäftigen können. Alternativ stellen wir Ihnen hier Fotos zur Verfügung, deren Qualität nicht die Beste ist, da sie ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen waren.

Lesen Sie noch zum Thema „Retentionsbecken Worringen“ die aktuelle offizielle Erklärung der StEB, die WorringenPur erhalten hat.

Lesen Sie auch unseren Bericht von der vorletzten Bürgerinfo aus dem Jahr 2005:   lesen
Lesen Sie auch unseren Bericht aus dem Jahr 2005/Stellungnahmen:   lesen
Weitere Stellungnahmen der CDU und SPD aus dem Jahr 2005.


WorringenPur.de/27.07.2011
Bericht und Fotos: Heike Matschkowski