WorringenPur unterwegs - „Literaturforum Königsdorf“:
Harrisburg, Jülich, Tschernobyl, Fukushima - oder
"Der Jülicher Atom-Unfall - Die Geschichte einer gescheiterten Technologie"

Königsdorf
Wieder einmal bewegt das Thema Atomenergie die Menschheit, und das nicht erst seit der Katastrophe in Japan. Jürgen Streich, Umweltjournalist, Bücherautor und bekannt mit dem ehemaligen Worringer, Prof. Alphonse Sauer, lud zu einem „Literaturforum in Königsdorf“ ein, wo das Leben mit gefährlichen Strahlen von sachkundigen Autoren referiert wurde. So auch „Die Wolke“ – die Verfilmung und das Buch sind Musterbeispiele vieler Schulen für die erschütternde Aufklärung zum Thema Atomenergie. Weiterhin referierten Karl Rovers, ehemaliger Leiter der Gudrun-Pausewang-Schule in Quadrath-Ichendorf, der Lyriker Gert Grünert und Gynter Mödder, Professor für Nuklearmedizin und Autor des Buches "Leben mit Strahlen". Rovers trug einen Text der Namensgeberin "seiner" Schule vor, die zum Atomthema den verfilmten Bestseller "Die Wolke" geschrieben hat.


Einer Einladung von Prof. Alphonse Sauer folgend, fuhren Jakob Mildenberg (Jugendfreund von Prof. Sauer) und Heike Matschkowski von der

Literaturforum J. Streich & K. Rovers

Literaturforum Karl Rovers

Literaturforum Gert Gruenert

Literaturforum Prof. Gynter Mödder

Redaktion WorringenPur nach Königsdorf zu einem Literaturforum besonderer Art. Die Wichtigkeit dieser Veranstaltung zeigte sich schon im September 2010, als die Publizistin Alla Yaroshinskaja, die für ihre Enthüllungen über die Lügen zum Super-GAU von vor 25 Jahren ("Verschlusssache Tschernobyl") den Alternativen Nobelpreis erhalten hatte, ebenfalls zu Gast hier war. Die Katastrophe von Fukushima war damals noch nicht geschehen. Menschliches Versagen habe zu der Reaktorhavarie von Tschernobyl geführt - damit versuchte die Kernenergielobby seither die Bevölkerung zu beruhigen. Verbesserte Technik werde es schon richten. In Fukushima waren es nun in dieser Stärke nicht erwartete Naturgewalten, die in einem High-Tech-Land wie Japan zur nuklearen Katastrophe führten. Was aber hat das nahegelegene Jülich in der Reihe der Namen solcher "Unfälle" zu suchen?

Das Forschungszentrum Jülich –zuletzt im April 2011 in einen Skandal mit angeblich verschwundenen hochradioaktiven Kugeln verwickelt, ist mit dem dort angesiedelten Atomversuchsreaktor (AVR) Bestandteil eines geplanten, hoch brisanten Buches. Im Rahmen des „Literaturforums“ stellte es der Moderator und Initiator Jürgen Streich, der schon für den Kölner Stadtanzeiger schrieb, vor. Streich, der auch für „Monitor“ arbeitete, sich für Greenpeace engagiert, beschäftigt sich seit 30 Jahren mit ziviler und militärischer Atomkraft. Er war für die ARD in der “Verbotenen Zone um Tschernobyl” und publiziert seither in Zeitschriften, Radio, TV, Internet und Büchern hierzu.

Literaturforum Dr. Moormann, J. Streich & Prof. A. SauerAuf dem Forum stellte er nun den Reaktorsicherheitsexperten Dr. Rainer Moormann vor, der noch am Forschungszentrum Jülich tätig ist. Mit ihm arbeitet Streich an einem Buch mit dem Arbeitstitel "Der Jülicher Atom-Unfall - Die Geschichte einer gescheiterten Technologie", das voraussichtlich 2012 erscheinen wird. Darin wird es um den jahrzehntelang vertuschten schweren Störfall im Jahr 1978 im Jülicher Hochtemperatur-Forschungsreaktor namens AVR (Atomversuchsreaktor) gehen. Streich hat seit 1980 versucht, Beweise für diesen Unfall, bei dem auch die unmittelbare Umgebung des Atommeilers radioaktiv verseucht wurde, zu finden. Dr. Rainer Moormann brachte diese schließlich an die Öffentlichkeit und erhielt hierfür am 1. Juli den renommierten Whistleblower-Preis der Vereinigung deutscher Wissenschaftler. Dieser Preis wird an Personen vergeben, die die Öffentlichkeit aufklären, obwohl sie dabei ihre berufliche Karriere aufs Spiel setzen. Das Buch wird zum gegebenen Zeitpunkt auf WorringenPur noch vorgestellt.

Literaturforum J. Streich & Dr. R. Moormann

Literaturforum J. Streich & Dr. R. Moormann

Dr. Moormann erklärte an Hand einer „Moderatorenkugel“ (ein Modell der Graphitkugeln, die in solchen Atomreaktoren verwendet werden), wie es zu dem Störfall in dem Jülicher AVR am 13.05.1978 kommen konnte. Dabei machte er keinen Hehl daraus, wie stark einige Tausend Kubikmeter Erde und das Grundwasser verseucht wurden und noch heute sind, und wie aufwendig und teuer eine Abtragung des Bodens sei. Eine „grüne Wiese“ wird es dort aus Kostengründen wahrscheinlich niemals mehr geben können. Viel schlimmer sei aber, dass China und Polen sich nach wie vor dafür interessieren Atomreaktoren dieser Art zu bauen. Warum Dr. Moormann erst jetzt an die Öffentlichkeit gegangen ist? Das Schweigen über das Ausmaß des Störfalls und der Fehlerquote des AVR verbunden mit dem aktuellen Interesse verschiedener Länder am Bau eines solchen Reaktors sind die Gründe dafür.
Aufgrund der Veröffentlichungen von Dr. Moormann hat zumindest Südafrika von dem geplanten Bau eines solchen Reaktors mittlerweile Abstand genommen. „Die Aufsichtsbehörden sitzen in NRW und müssen unbedingt darüber aufklären, dass diese Technologie nicht baureif ist. Länder wie China und Polen interessieren sich immer noch dafür!“, so Dr. Moormann im Gespräch mit WorringenPur. Das Buch soll verhindern, dass immer wieder vertuscht wird, das weitaus mehr passiert ist, als bekannt ist.“

Literaturforum J. Streich,  Dr. R. Moormann, Prof. A. Sauer

Literaturforum Prof. A. Sauer

Die Ehefrau eines bereits früh an Krebs verstorbenen ehemals beteiligten Wissenschaftlers legte die guten Absichten der damals wie heute beteiligten Mitarbeiter dar. So sind die Absichten der Wissenschaftler zweifelsohne die gewesen, „die Welt retten zu wollen und die schmutzige Kohle-Energie durch saubere zu ersetzen“. Welche Risiken von der Atomkraft ausgehen können, zeigt sich jedoch am Jülicher AVR, der nach dem Störfall im Jahr 1978  wegen viel zu hoher Temperaturen und wegen der deshalb viel zu starken radioaktiven Verseuchung frühestens zum Ende des Jahrhunderts zurückgebaut werden kann. Erst 10 Jahre nach dem Störfall erkannte man Literaturforum J. Mildenberg & Prof. A. Sauerdessen wahres Ausmaß, beschloss aber, es zu bagatellisieren. Heute umschließt ein 60 m hohes Stahlgebäude den Reaktor, der nur durch Glück einer noch verheerenderen Explosion entkam, so Dr. Moormann.

Die Dramatik des abendlichen Themas wurde durch Prof. Alphonse Sauer, Klavierpädagoge mit Professuren in Wien und Tokyo unterstrichen. „Deutschland ist das einzige Land, das weltweit auf die Fukushima-Katastrophe reagiert hat, darauf kann man stolz sein. Aber das reicht nicht. Wir müssen als Industrieland eine Vorbildfunktion einnehmen, um auch weltweit die Industrieländer von der Notwendigkeit der Umkehr von dieser Technologie zu überzeugen“, so Prof. Sauer im Gespräch mit WorringenPur.


WorringenPur.de/18.07.2011
Bericht und Fotos: Heike Matschkowski