Japan: 2 Jahre danach
Der langsame Weg in die „Normalität“
Interview mit Gereon Fischer
“Habitat for Humanity Deutschland”

Gereon Fischer

Im „Ewigen Kalender der Katastrophen“ nimmt der 11. März 2011 einen besonders tragischen Platz ein. Vor gut zwei Jahren hielt die Welt den Atem an, als die Dreifachkatastrophe in Japan geschah. Gereon Fischer, Manager für internationale Projekte und Mitarbeiter der Kölner Hilfsorganisation „Habitat for Humanity Deutschland” betreut die Hilfsmaßnahmen in Japan intensiv und stand WorringenPur für ein Interview zur Verfügung.

WorringenPur
Herr Fischer, am 11. März dieses Jahres war der zweite Jahrestag der Dreifachkatastrophe in Japan. Wie kommt es, dass Sie in Japan durch Ihren persönlichen Einsatz helfen? Was oder welcher Augenblick hat Sie dazu bewogen?
Gereon Fischer
Wir als Habitat for Humanity helfen bei Katastrophen weltweit, normalerweise vor allem aber in Entwicklungs- und Schwellenländern. Obwohl Japan ein reiches Land ist, war jedoch schnell klar, dass das Ausmaß der Katastrophe jedes Land der Welt überfordern würde. Ich denke die dramatischen Bilder der Katastrophe und die unglaublichen Opferzahlen sind uns noch allen gut vor Augen. Dementsprechend ging eine Welle der Solidarität durch die deutschen Öffentlichkeit, und viele Menschen und Partner kamen auf uns zu und fragten, ob wir in Japan helfen würden. Auf Grund der dramatischen Bilder aus Japan, der enormen Unterstützung aus der deutschen Gesellschaft, sowie der Lage-Berichte unserer Kollegen von Habitat for Humanity Japan, haben wir dann entschieden, dass auch wir von Deutschland aus helfen können und müssen.


WorringenPur
Wann lief die erste Hilfe an?
Gereon Fischer
Erste Assessment-Teams von japanischen und internationalen Kollegen waren schon wenige Tage nach der Katastrophe vor Ort und konnten erste Maßnahmen einleiten. Doch auch erst später beginnende Maßnahmen waren und sind sehr wichtig. So haben wir z.B. tausenden Familien helfen können, ihre Wohnungen durch die Verteilung verschiedener Heizquellen winterfest zu machen, denn der Winter im Nordosten Japans ist durchaus sehr streng. 

WorringenPur
Knapp eine halbe Mio. Japaner verloren ihr Zuhause – über 150.000 Häuser wurden zerstört oder unbewohnbar. Wie leben diese Menschen heute?
Gereon Fischer
Es geht voran, aber auf Grund der umfassenden Planungsprozesse der Behörden für ganze Städte und Dörfer, sowie der großen Menge an Gebäuden, die neu errichtet oder repariert werden müssen, konnten noch immer über 300.000 Menschen nicht zurückkehren und leben in Übergangshäusern oder bei Verwandten.


WorringenPur
Was steht im Vordergrund Ihrer Arbeit?
Gereon Fischer
Während der ersten Monate ging es vor allem darum, den Menschen zu helfen, den Alltag in Evakuierungszentren, Übergangswohnungen und bei Verwandten gut überstehen zu können, z.B. durch Hilfsgüterverteilungen. Jetzt geht es schon seit einiger Zeit besonders darum, den Menschen die Rückkehr in die beschädigten Häuser und in Ihren Alltag zu ermöglichen, d.h. es geht um Reparaturen und Wiederaufbau, und auch darum, die betroffenen Städte wieder wohnlicher zu machen. Wir wollen dabei auch ein „Build back better“-Ansatz unterstützen. So fördern wir z.B. in einem Leuchtturmprojekt den Einsatz von Solarzellen, um ein gutes Beispiel zu setzen und die Abhängigkeit von Atomenergie zu reduzieren.


WorringenPur
Wie sieht ein Tag in Ihrem Leben aus, wenn Sie sich dort engagieren?
Gereon Fischer
Es geht vor allem darum, den Fortschritt der Projekte zu überwachen und einen effektiven und effizienten Einsatz der Spendengelder sicherzustellen. Die meiste Arbeit vor Ort, wie z.B. die Koordination von Handwerkern und freiwilligen Helfern machen die japanischen Kollegen.

WorringenPur
Welche Einzelschicksale sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben, welche haben Sie besonders berührt?
Gereon Fischer
Ich erinnere mich gut an einen älteren Mann, der am Tag der Katastrophe Geburtstag hatte. Statt zu feiern entkam er nur knapp den Fluten und musste in einem Evakuierungszentrum unterkommen und zunächst half ihm niemand wieder in seine Wohnung zurückkehren zu können. Als er schließlich von unseren Helfern Unterstützung bekam, um seine Wohnung winterfest zu machen, war er voller Dankbarkeit und sagte, diese Solidarität zu erfahren nach all der schlimmen Zeit sei für ihn schöner als jedes Geburtstagsgeschenk und jede Geburtstagsfeier.


WorringenPur
Wie wichtig ist es für die Betroffenen in die „Normalität“ zurückkehren zu können?
Gereon Fischer
Viele Menschen sind traumatisiert von der Katastrophe. Deswegen ist es sehr wichtig, wieder einen Alltag zu schaffen, der nicht nur durch die Folgen der Katastrophe geprägt ist. Deshalb bauen wir z.B. Gemeindezentren wieder auf, in denen die Menschen das soziale Leben aufleben lassen können. Eine der ersten Veranstaltungen in einem von uns restaurierten Gemeindezentrum war z.B. eine Karaoke-Party.


WorringenPur
Sind den Diskussionen über Atomausstieg und erneuerbare Energien in Japan auch Taten gefolgt?
Gereon Fischer
 In Teilen ja, allerdings nicht in dem Ausmaß, wie wir Deutschen das vielleicht erwartet hätten. Aber es gibt nun z.B. Subventionen für Solarzellen auf Privathäusern, ähnlich dem Vorbild hier in Deutschland – dies nutzen auch wir für unser Leuchtturmprojekt.


WorringenPur
Was muss weltweit getan werden, um zu verhindern, dass solch eine Katastrophe noch einmal geschehen kann? Kann dies noch einmal geschehen, vielleicht nicht nur in Japan, sondern in Europa, wo doch z. B. Frankreich etliche Atomkraftwerke hat, die von Deutschland nicht allzu weit entfernt liegen? Was müssen die Deutschen tun, um alle Politiker auf den richtigen Weg zu zwingen und diesen Weg konsequent und mit höchster Geschwindigkeit zu gehen?
Gereon Fischer
Meiner Ansicht nach führt die Atomenergie in die Sackgasse. Die Endlagerfrage ist weltweit ungeklärt und die Katastrophe in Japan hat gezeigt, dass die Technologie im Falle eines GAUs selbst von reichsten und modernsten Nationen nicht kontrolliert werden kann. In Europa wird es sicher keinen Tsunami geben, aber Flugzeugabstürze oder Erdbeben bisher unbekannten Ausmaßes sind auch hier das berühmt-berüchtigte „Restrisiko“. Deshalb muss die deutsche Gesellschaft alles mobilisieren, um die Energiewende zu realisieren. Nur dann können wir auch als Vorbild in Europa und der Welt gelten und es finden sich hoffentlich Nachahmer. Auf Grund der damit verbundenen Kosten geht das wohl nur über öffentlichen Druck und gesellschaftliche Solidarität.

WorringenPur
Was kann getan werden, um den Menschen in Japan effektiv helfen (Spendenkonto!) zu können? Wer und wo kann sich dafür bewerben?

Gereon Fischer
Wer gerne unsere Arbeit in Japan oder eins unserer anderen Hilfsprojekte, z.B. in Äthiopien, Malawi oder Tadschikistan unterstützen möchte, der kann auf folgendes Konto spenden:

Empfänger: Habitat for Humanity
Spendenkonto: 5060
BLZ: 37020500
Bank für Sozialwirtschaft AG


Als Gruppe kann man mit uns auch in die Projekte fahren, selbst mit anpacken und sehen, wie die eigene Spende ankommt. In Japan ist dies nicht mehr möglich, aber in vielen anderen spannenden Ländern. Informationen gibt es auf unserer Homepage www.hfhd.de.


WorringenPur
Herr Fischer, vielen Dank für das Gespräch!
Gereon Fischer
Vielen Dank!



WorringenPur.de/12.04.2013
Interview: Heike Matschkowski
Fotos: „Habitat for Humanity Deutschland”